GEMEINSAMES LERNEN

Gemeinsames Lernen – Inklusion am EMA 2021

Der vorliegende Text ist als prozessbegleitender offener Leitfaden zur Inklusion am EMA zu verstehen, der die in der Schule seit dem Schuljahr 2015/16 begonnen Veränderungen als Ausschnitt eines Schulentwicklungsprozesses zusammenfasst. Inklusion, die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigung, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, der wir uns am EMA ebenso verpflichtet fühlen, wie andere Schulen auch. Unser Ziel ist die Förderung einer vorurteilsfreien Begegnung von Menschen mit und ohne Beeinträchtigung sowie die Entfaltung der Lern- und Entwicklungspotentiale aller Schülerinnen und Schüler mit und ohne sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf.

Das Vorneweg: Gymnasium bleibt Gymnasium. Bei allem Engagement im Bereich der Inklusion möchten wir wie gewohnt die gymnasialen Schülerinnen und Schüler nicht aus unserem Blick verlieren. Sie erhalten weiterhin eine qualitativ hochwertige Schulausbildung mit einer Förderung in unseren MINT- und musischen Schwerpunktbereichen.

Förderort Gymnasium – zielgleiche und zieldifferente Förderung

Im Rahmen der Neuausrichtung der Inklusion gemäß Schulgesetz § 20 Absatz 5 ist das Ernst-Moritz-Arndt Gymnasium ab dem Schuljahr 2019/20 als eines von zwei Bonner Gymnasien bestimmt worden, Gemeinsames Lernen auch in den Förderschwerpunkten mit zieldifferentem Unterricht einzurichten. Unsere Schule nimmt somit im Rahmen der Inklusion Kinder mit festgestelltem sonderpädagogischen Unterstützungsbedarf in den Bereichen Soziales und Emotionales Verhalten, Hören, Kommunikation und Sprache, Lernen und Geistige Entwicklung auf. Inklusion findet hier in zweifacher Art und Weise statt:

Zielgleich:
Seit einigen Jahren haben wir Erfahrungen mit der Einzelintegration von Schülerinnen und Schülern mit Beeinträchtigung, die in ihrem Alltag einen besonderen Unterstützungsbedarf aufgrund von körperlichen oder emotional-sozialen Einschränkungen haben. Diese Kinder haben dessen ungeachtet in ihrer Grundschulzeit ihre gymnasiale Eignung bewiesen und stellen sich bei uns denselben schulischen Anforderungen wie alle anderen Schülerinnen und Schüler unserer Schule ohne diese Beeinträchtigungen. In Situationen des Schulalltags, die sie nicht selbständig bewältigen können, erhalten sie spezielle Unterstützung und bekommen in besonderen Fällen auch eine Schulbegleitung durch Integrationsassistenz zugewiesen.

Zieldifferent:
Seit Beginn des Schuljahres 2016/17 nimmt das EMA als Schule des Gemeinsamen Lernens auch Schülerinnen und Schüler auf, die aufgrund einer Lernbehinderung oder einer geistigen Behinderung nicht an dem Bildungsgang Gymnasium teilnehmen. Ihrem Unterstützungsbedarf entsprechend werden für diese Kinder in Förderplänen individuelle Bildungsziele formuliert, die sich an den Richtlinien der Förderschulen orientieren. Nach diesen Förderplänen werden sie zu eigenen Abschlüssen geführt. Eine Benotung ihres Lernfortschrittes findet ebenso wenig statt wie eine Versetzungsentscheidung.
Auch diesen Kindern steht u.U. die Unterstützung durch eine Integrationsassistenz zu.

Klassenbildung und Beziehungsarbeit
Die Zusammenführung mehrerer Kinder mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf in einer Klasse und damit die Möglichkeit, die begrenzten Ressourcen in einer Lerngruppe zu bündeln, haben sich bislang als hilfreiche Grundsatzentscheidung herausgestellt. Der große Umfang gemeinsamer Zeit ermöglicht den Lehrkräften darüber hinaus den Aufbau einer tragfähigen Beziehung zu den Kindern, die eine notwendige Voraussetzung für den Fördererfolg darstellt. Auch die sonderpädagogische Beratung der Regellehrkräfte und das gemeinsame Unterrichten in Doppelbesetzung der gesamten Lerngruppe sind so leichter umzusetzen.
Für die Kinder mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf bedeutet der gemeinsame Unterricht in einer Klasse, dass sie in ihrer sozialen Bezugsgruppe Vertrautheit entwickeln und sich damit an der Schule wohlfühlen können.

Organisation der Lernumgebung im Lehrerteam
In den kommenden 5. Klassen im Gemeinsamen Lernen sehen wir vor, eine Doppelbesetzung durch Lehrkräfte im Unterricht in Teilen der Unterrichtsstunden umzusetzen, in denen Kinder mit und ohne Behinderung gemeinsam lernen, so dass hier Möglichkeiten für differenzierte Betreuung und Förderung geschaffen werden.
Für die im Gemeinsamen Lernen eingesetzten Lehrkräfte und Unterstützungskräfte ergibt sich ein stark gestiegener Planungs-, Absprache- und Vorbereitungsbedarf. Dafür werden ihnen Klassen-Teamzeiten zur Verfügung gestellt.
Regelmäßige Teambesprechungen aller Lehrerinnen und Lehrer im Gemeinsamen Lernen führen zu einem hohen Maß an Sicherheit und Verbindlichkeit in der pädagogischen Arbeit für alle Kinder und ermöglichen eine gemeinsame Umsetzung von klaren Regeln, Abläufen und Lernarrangements im Unterricht. Durch diese Verlässlichkeit und Regelmäßigkeit werden Eigenverantwortung und Eigenständigkeit aller Kinder in besonderem Maße gefördert.
Gemeinsames Lernen braucht Raum für Differenzierung. Durch ein neu angepasstes Raumkonzept – unter anderem mit einem vormittags möglichst durchgängig von einer Lehrkraft besetzten Differenzierungsraum – versuchen wir, den Erfordernissen durch die kommenden Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf Rechnung zu tragen.

Äußere Differenzierung1
Zieldifferent zu beschulende Schülerinnen und Schüler können nicht in allen Phasen am gemeinsamen Unterricht teilnehmen. Die Unterrichtsziele am Gymnasium haben sich stets an den gymnasialen Anforderungen zu orientieren, welche jedoch die zieldifferent unterrichteten Kinder mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf überfordern. Überforderung führt aber bei jedem Kind zu Misserfolgserlebnissen, Frustration und Demotivation und die Lernfreude geht verloren.
Auch die großen Unterschiede in der Konzentrationsfähigkeit, andere Unterrichtsmaterialien und verschiedene Lernarrangements erfordern eine äußere Differenzierung. Dafür sind der Differenzierungsraum und die Arbeit in einer Lernwerkstatt unerlässlich. Der Differenzierungsraum ist für diese Zwecke frei zu halten und mit einer Lehrkraft zu besetzen, da die Entscheidung für eine Aufteilung auch situativ erfolgen muss. Die Lehrkräfte entscheiden in ihrem schulischen Handeln nach dem Grundsatz „So viel gemeinsam wie möglich, so viel getrennt wie nötig.“

 

Lernfortschritt für alle Schülerinnen und Schüler
Vom Gemeinsamen Lernen können unter den richtigen Rahmenbedingungen alle Kinder und ihre Klassengemeinschaften profitieren.
Auch Kinder ohne Lernbehinderung können ihren Lernerfolg steigern, wenn sie ihren Mitschülerinnen und Mitschülern mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf in bestimmten Phasen helfen und damit selbst im Umgang mit dem Unterrichtsstoff souveräner werden können. In den Phasen, in denen die Schülergruppen getrennt unterrichtet werden (s. o.), arbeiten die Kinder ohne Behinderung in kleineren Lerngruppen und können dort von der Lehrperson individuell gefördert und gefordert werden. Der Lernfortschritt in diesen Phasen kann dadurch besonders hoch sein.
Auch die Sozialkompetenz kann sich in den Klassen des Gemeinsamen Lernen durchaus besonders entwickeln, wenn Schülerinnen und Schüler ohne Behinderung lernen, ihre Angelegenheiten mit einem großen Maß an Kooperationsfähigkeit, Eigenständigkeit und Verantwortung zu regeln.
Die Kinder mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf können hingegen vom hohen Anregungsniveau in der Klasse und von der intensiven Betreuung durch die Sonderpädagogin sowie von der hilfreichen Unterstützung durch ihre Mitschülerinnen und Mitschüler profitieren.

Aktuelle Bedingungen für das Gemeinsame Lernen am EMA

In der öffentlichen Diskussion wird die Kritik geäußert, dass die Rahmenbedingungen für die Inklusion an den Schulen unzureichend sind. Fehlende Ressourcen verhindern den Erfolg der Inklusion, das Recht auf angemessene sonderpädagogische Unterstützung kann noch nicht optimal umgesetzt werden und die entstehenden Belastungen werden auf alle Schülerinnen und Schüler sowie auf Lehrerinnen und Lehrer abgewälzt.

Auch am EMA sind die aktuellen Rahmenbedingungen für das Gemeinsame Lernen noch nicht zufriedenstellend. Wenngleich wir seit einigen Jahren wie oben beschrieben Schule des Gemeinsamen Lernens sind, so sind unsere Ressourcen derzeit noch limitiert und inhaltlich befinden wir uns in der Situation der konzeptionellen Neuaufstellung.
Ab Juni 2019 haben wir eine Sonderpädagogin mit vorerst halber Stelle fest an unserer Schule. Zum kommenden Schuljahr haben wir zwei weitere Stellen Sonderpädagogik ausgeschrieben und wir hoffen darauf, diese zum neuen Schuljahr erfolgreich besetzen zu können.

Die Begleitung des Inklusionsprozesses durch die erforderliche Schulsozialarbeit wird als eine wesentliche Gelingensbedingung am EMA angesehen. Wir beschäftigen seit einigen Jahren sehr erfolgreich einen Sozialpädagogen, der unsere Arbeit mit den inklusiven Kindern ebenso in vielfältiger Weise unterstützt wie die bisher an unserer Schule tätigen Schulbegleiterinnen und Schulbegleiter.

Wir bemühen uns, die Ziele einer Schule des Gemeinsamen Lernens durch gewissenhafte Vorkehrungen, konzeptionelle Überlegungen und Haltungsschulung anzugehen und umzusetzen. Wieweit wir auf diesem Weg in diesem kommenden Schuljahr vorankommen, hängt von der Unterstützung der Schulbehörde und des Schulträgers, von der personellen und sächlichen Ausstattung, von Fortbildungsmöglichkeiten der Lehrkräfte und nicht zuletzt von der Bereitschaft aller Mitglieder der Schulgemeinschaft ab, sich auf die Herausforderungen inklusiver Bildung einzulassen.

 

Simone Bröcker

(Schulleiterin)


1 SchG NRW §20(3) In der allgemeinen Schule wird der Unterricht als Gemeinsames Lernen für Schülerinnen und Schüler mit und ohne Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung im Klassenverband oder in der Lerngruppe erteilt. Er erstreckt sich auf alle Unterrichtsvorgaben nach § 19 Absätze 3 und 4. Hierbei sind Formen innerer und äußerer Differenzierung möglich. Dies gilt auch für die Schülerinnen und Schüler, die zieldifferent unterrichtet werden.