Nachdenkliches & Hoffnungsvolles – Stimmungsbilder & Worte aus dem EMA-Abiturgottesdienst 2022
Don’t Stop Me Now
Begrüßung
Annika Petersen
Zu unserem Gottesdienst begrüße ich Sie und Euch auch im Namen des Abigottesdienst-Komitees alle sehr herzlich. Wir freuen uns, dass so viele Eltern, Verwandte, Lehrkräfte, Freunde und Freundinnen erschienen sind. Vor allem aber ein herzliches Willkommen an Euch, liebe Mitabiturientinnen und Abiturienten; wir hatten den letzten Schultag, die Prüfungen sind vorbei, die Noten bekannt. Bevor wir nachher endlich die Zeugnisse überreicht bekommen, sind wir zusammengekommen, um hier am EMA gemeinsam diesen Gottesdienst zu feiern.
Don’t Stop Me Now.
In den letzten Monaten hat einiges aufgehört, das für uns alle ganz feste Routine geworden war. Früh aufstehen. Kurz vor oder nach acht zur Schule kommen.
Unterricht, Klausuren, Hausaufgaben. Vermutlich sieht der Alltag von den wenigsten noch so aus wie vor ein paar Monaten. Sondern chaotischer, spontaner, freier, individueller.
Für jeden Einzelnen von uns bricht genau jetzt eine neue Zeit an.
Mancher hat vielleicht schon einen ganz klaren Plan für die nächsten Wochen; andere haben das nächste Jahr schon durchgeplant; manch einer vielleicht sogar schon die ganze Karriere. Andere haben zwar vage Vorstellungen, aber sich noch nicht entschieden.
Was auch immer auf uns jeweils zutrifft, die Schule werden wir (erstmal) verlassen, auch wenn manche vielleicht als Lehrer und Lehrerinnen zurückkehren werden.
Klingt vielleicht etwas plakativ, aber für jeden Einzelnen von uns bricht genau jetzt eine neue Zeit an.
Don’t Stop Me Now.
Wir springen also relativ unvorbereitet „ins kalte Wasser“. Das dürfen wir aber in dem Vertrauen tun, dass schon ganz viele vor uns diesen Sprung gewagt haben. Dass wir immer wieder aufgefangen werden, wenn wir stürzen.
Das heißt, dass wir uns auf Neues einlassen werden müssen. Neue Herausforderungen meistern, über unseren Schatten springen, und um Hilfe bitten. Dabei werden wir bestimmt auch manchmal scheitern oder in einer Sackgasse landen. Das gehört dazu.
Wir springen also relativ unvorbereitet „ins kalte Wasser“. Das dürfen wir aber in dem Vertrauen tun, dass schon ganz viele vor uns diesen Sprung gewagt haben. Dass wir immer wieder aufgefangen werden, wenn wir stürzen. Dass Freunde und Familie für uns da sind und uns ermutigen, nicht aufzugeben. Dass wir das schaffen können. Ganz unvorbereitet sind wir also doch nicht, wenn wir auf uns selbst, unser Umfeld und Gott vertrauen.
Don’t Stop Me Now.
Wir sollten dankbar sein für die Unterstützung von außen. Und doch: Heute darf es um uns gehen.
An meine Schulzeit werde ich mich gerne zurückerinnern. Einzelne Highlights wie die Klassen- und Kursfahrten, aber auch schöne Momente aus meinem inzwischen alten Alltag. Ich hoffe, dass die meisten von uns Erinnerungen mitnehmen, die uns zum Lächeln bringen. Bestimmt hatte jeder von uns auch Herausforderungen und schwierige Zeiten, keine Frage. Aber jetzt stehen wir hier und bekommen in etwas mehr als einer Stunde unser Abitur überreicht.
Das EMA war hoffentlich für uns alle mehr als nur ein Ort, an dem ein Lehrplan vermittelt wird. Ich glaube, dass wir alle hier in vielerlei Hinsicht gewachsen sind und jetzt bereit sind, selbstständig unseren weiteren Weg zu wählen. Auch, wenn da Unsicherheit und vielleicht auch Angst in uns ist.
Was wünschst du dir? Was könnte dich stoppen? Und viel wichtiger: Was würdest du tun, wenn du wüsstest, dass du nicht aufgehalten wirst? Wenn du keine Angst hättest?
Zu genau diesem Wunsch führt ein Weg – und für den wünschen wir dir ganz viel Mut, Unterstützung, Glück und Vertrauen. Don’t Stop Me Now.
Predigt
Pfarrer Uwe Grieser
Liebe Abiturientia,
sehr geehrte Schulleiterin Frau Bröcker, liebes Kollegium,
liebe Eltern, Familien, Gäste und Freunde,
zum Absprung bereit sein, loslassen, fliegen…
Die Schule so artistisch zu verlassen,
ist das Bild für den Abschied und den Neubeginn,
bestaunenswert, gekonnt, wagemutig.
Don’t stop me now!
Der Song von Queen war gerade in den Charts,
als ich mein Abi gemacht habe – lange ist das her.
Es ist ein Phänomen, dass er immer noch das Zeug hat,
dem starken, lustvollen Lebensgefühl Ausdruck zu verleihen,
dass man sich in ein Vergnügen stürzen möchte
und einfach a good time – eine gute Zeit haben – will
und dazu von nichts und niemandem
aufgehalten werden kann.
Nach zwei Jahren Corona ist das genau der richtige Song Die Pandemie hat ja das Lustvolle und Vergnügliche, das normalerweise zur Oberstufenzeit auch dazugehört, verunmöglicht bzw. eingeschränkt, vielleicht gar nicht erst richtig entstehen lassen.
Aber jetzt. Und am Freitag. Und nächste Woche.
Und im Sommer: Don’t stop me now.
Der Vorbereitungskreis hat ein cooles Motto gewählt,
nicht nur für diesen Gottesdienst.
Selbstbewusst loslegen, aufbrechen zu neuen Ufern,
mit Energie und Entschlossenheit die nächsten Schritte wagen
und sich dabei ganz lebendig fühlen –
so soll es sein, Wunsch und Wirklichkeit sollen zusammenfallen,
Freddie Mercury liefert dazu die Musik
und findet geniale Bilder:
Den Gesetzen der Schwerkraft trotzen,
durch den Himmel brennen, unaufhaltsam sein
wie ein Raumschiff sein, ein Satellit, ein Rennwagen…
und dann taucht da auf einmal Lady Godiva auf.
Wisst ihr, wer das ist? Ich wusste es nicht.
Die ältesten Legenden stammen aus dem 13. Jahrhundert,
habe ich im Netz gelesen..
Gelebt hat Godiva zweihundert Jahre davor,
sie war eine Adlige, die mit ihrem Mann, dem Grafen Leofric,
ein bedeutendes Kloster in Coventry gestiftet hat.
Die Legende erzählt,
ihr Mann habe – bei aller Frömmigkeit – das Volk mit hohen Steuern ganz schrecklich belastet.
Godiva sah das Elend der Bevölkerung
und wollte ihren Mann zum Umlenken gewinnen.
Der aber sagte ihr, das würde er nur tun,
wenn sie unbekleidet auf einem Pferd durch die Stadt reitet – Er dachte sich, dass sie das niemals tun würde.
Aber Godiva war es ernst mit ihrem Einsatz
für das leidende Volk.
Don’t stop me now, rief sie ihrem Mann entgegen
sattelte das Pferd, ließ ihre Hüllen falle und ritt los.
Das war natürlich alles andere als ein Vergnügungsritt.
Es war ein großes Wagnis.
Sie konnte beschämt werden, bloßgestellt und verlacht.
Aber sie war nicht aufzuhalten.
Bei Petrus sind es andere Beweggründe, loszuziehen.
Er will niemanden vor dem Untergang bewahren,
wagt es aber, sich in diese Gefahr zu begeben
und setzt seine Füße auf das Wasser.
Sein Wagemut ist nicht so strahlend wie der der Lady.
Das Evangelium erzählt, dass er sich nicht sicher ist.
Nicht erst beim Anblick der Wellen
zeigt sich seine Ängstlichkeit.
Sie steckt schon in ihm beim Anblick der Gestalt,
die alle für ein Gespenst gehalten haben.
Und sie ist auch noch da,
als Jesus den Jüngern zuspricht: Hey, ich bin’s doch,
ihr braucht keine Angst zu haben!
Petrus schwingt sich nämlich nicht gleich über Bord.
Zögerlich sagt er:
Wenn du es bist, so befiehl, dass ich zu dir komme.
Diese Zögerlichkeit, diese vorsichtige Annäherung,
macht ihn mir sehr sympathisch.
Petrus ist nicht der shooting star, der durch den Himmel springt,
er singt nicht I‘m gonna go go go,
aus ihm wird kein supersonic man.
Er wagt den Schritt auf das Wasser, das schon.
Doch weit kommt er nicht.
Er geht aber auch nicht unter.
Ich bin froh, dass diese Geschichte ihren Platz hat in der Kirche.
Kürzlich habe ich gelesen,
dass jemand die Kirche ein „Unperfekt-Haus“ nannte,
und das passt gut zu Petrus.
Die Kirche ist der Raum,
in dem auch das Scheitern erzählt werden kann
und der Glaube als Kleinglaube einen Platz hat –
darin finde ich mich eher wieder als in den Legenden,
die oft etwas Heroisches an sich haben.
Lady Godivas Mut verdient einen riesen Respekt,
aber Petrus ist vielen von uns näher.
Ich erkenne mich in ihm wieder mit meinem Zögern und Zaudern
und es spricht mich an, dass Petrus nicht heroisch untergeht, sondern „Hilfe“ ruft – und Hilfe erfährt.
Er ist nicht die Rakete, die über das Wasser schießt,
davon kann man träumen, aber das Leben sieht anders aus.
Wir sind nicht frei von Ängsten.
Wir haben nicht für alles einen Plan.
Die Zukunft strahlt nicht nur Offenheit und Potential aus.
Sie ist auch diffus, wenig greifbar.
Sie steckt voller Möglichkeiten, aber auch voller Gefahren:
es darf nicht alles so weitergehen.
Das wissen wir sehr genau.
Aber wie lenken wir unsere Schritte,
dass es in eine andere Richtung gehen kann?
Das Wasser mit seinen Untiefen und seiner schrecklichen Gewalt
ist in der Bibel ein Sinnbild dafür,
sich ausgeliefert zu fühlen,
den Boden unter den Füßen zu verlieren,
keine Kontrolle zu haben.
Dass Jesus über solches Wasser laufen kann,
vermittelt seine besonderen, göttlichen Qualitäten.
Wer seine ausgestreckte Hand ergreift,
wird ihn nicht runterziehen in den Chaosabgrund,
sondern von ihm gehalten werden und zurück ins Schiff finden,
zu den anderen, die unterwegs sind im Meer der Zeit.
Ein anderes Bild für das Vertrauen,
dass es Hände gibt, die auffangen,
verkörpert die Artistin, die wir durch die Luft fliegen sehen.
Sie wird lange geübt haben, loszulassen.
Es gab ein Netz, damit sie dort hineinfallen konnte,
wenn ihr Absprung nicht im richtigen Moment geschah.
Der Schwung muss gut aufeinander abgestimmt sei.
Das muss trainiert werden.
Aber das Entscheidende, worauf es immer ankommt,
von Anfang an,
ist die absolute Hingabe,
mit ausgestreckten Händen durch die Luft zu fliegen
und darauf zu vertrauen, dass sie ergriffen werden.
Für die Zuschauer ist das ein Nervenkitzel,
eine fantastische Luftnummer, die beklatscht wird.
Für den Artisten aber ist es jedes Mal ein Akt der Konzentration und des Vertrauens:
Ich verlasse mich auf meinen Partner, meine Partnerin,
ich vertraue darauf, aufgefangen zu werden.
Zum Absprung bereit sein, loslassen, fliegen –
dazu braucht es nicht nur Wagemut, sondern auch Vertrauen.
Lady Godiva vertraute dem Volk mehr als ihr Mann.
Petrus hatte genug Vertrauen in die Worte Jesu: Komm!
Die Artistin vertraut auf ihr Können und das ihrer Partnerin.
Und Freddie Mercury? Er vertraute seinen Gefühlen
und wagte es, sie in Musik und Worte zu kleiden:
Don’t stop me now!
Go Go Go
Heute geht die Schulzeit am EMA definitiv zu Ende
für euch Abiturientinnen und Abiturienten.
Alle freuen sich mit euch, mit Ihnen,
gratulieren und zeigen Anerkennung.
Jetzt habt ihr so viel Freiheit, wie noch nie,
durchzustarten oder zu pausieren
oder erst zu pausieren und dann zu entscheiden,
was ansteht, wofür ihr brennen könntet, was euer go go go ist.
Wir wünschen euch Wagemut like Lady Godiva,
die ihr Pferd gesattelt hat,
like Petrus, der seine Füße auf das Wasser setzte.
Und dazu die Erfahrung, gehalten zu werden,
wenn ihr Hilfe braucht.
Und das wunderbare Glücksgefühl,
aufgefangen zu werden von Menschen,
denen ihr blind vertrauen könnt.
Zögern und Zaudern und auch Scheitern
sind kein Grund, sich schämen zu müssen.
Wer nichts wagt, wird weder scheitern noch etwas gewinnen.
Lady Godiva wurde übrigens nicht verlacht.
Das Volk hat ihren Mut erkannt und ihr gedankt.
Die Steuer wurde abgesenkt.
Da hatte auch das Volk a good time.
Amen
Zusammenstellung und Präsentation
Dr. Nancy Cheng für die Fachschaften Evangelische und Katholische Religion